Richtfest auf dem Gasometer Berlin
Das Großprojekt auf dem EUREF-Campus steckt voller Herausforderungen. Das Bauunternehmen WOLFF & MÜLLER und seine Partner haben dafür ausgefeilte Lösungen entwickelt.
5. Mai 2023 – Wie schaffen es Bauprofis, eine komplette Glasfassade durch einen 1,20 Meter schmalen Spalt einzubauen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die es beim Innenausbau des denkmalgeschützten Gasometers in Berlin-Schöneberg zu klären galt. Am „Zukunftsort“ EUREF-Campus hat die Baustelle jetzt einen Meilenstein erreicht: Der Bauherr feierte am 5. Mai mit den Projektbeteiligten das Richtfest. „Wir liegen im Zeitplan. Die Instandsetzung des Industriedenkmals ist zu 80 Prozent fertig und soll bis September 2023 vollendet sein. Die Rohbauarbeiten am neuen Bürogebäude wurden bereits Ende 2022 abgeschlossen. Inzwischen sind auch alle Fassadenelemente eingebaut, das heißt: Die Gebäudehülle ist dicht“, berichtet Carsten Hofmann, Oberbauleiter bei WOLFF & MÜLLER. Die DENKMALplus Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Erste Berlin KG investiert als Bauherr insgesamt rund 200 Millionen Euro in das Projekt. Was das Gasometer aus Sicht des Bauunternehmens so besonders macht, zeigt der folgende Überblick:
Material und Arbeitszeit: Insgesamt wurden im Projekt 22.000 Kubikmeter Beton verbaut; das entspricht 55.000 Tonnen beziehungsweise 2.900 Betonfahrmischern. Dazu kommen 4.300 Tonnen Betonstahl. Die Fassade aus vorgefertigten Glaselementen ist 12.600 Quadratmeter groß und hat ein Gesamtgewicht von 790 Tonnen. Die schwerste Glasscheibe wiegt 633 Kilogramm. Addiert man alle einzelnen Sonnenschutzlamellen, kommt man auf eine Länge von 669,7 Kilometern. In dem Bauwerk stecken rund 600.000 Arbeitsstunden. Aktuell kommen jede Woche rund 10.000 Stunden hinzu. Bis zu 250 Handwerkerinnen und Handwerker in bis zu 60 Gewerken sind derzeit täglich auf der Baustelle im Einsatz.
Sanierung und Neubau auf einen Streich: Zum einen wird das historische Stahlgerüst, das einst einen Gasspeicher trug, saniert. Zum zweiten entsteht im Inneren des Gerüstes ein Bürogebäude, in das Anfang 2024 die Digitalsparte der Deutschen Bahn mit rund 2.000 Mitarbeitenden einziehen wird. Während der Neubau in die Höhe wächst, wird das Stahlskelett mithilfe von Sandstrahltechnik entschichtet und bekommt einen komplett neuen Korrosionsschutz. Dass beide Teilprojekte parallel ablaufen, ist eine Besonderheit der Baustelle. Entsprechend viele Arbeiten und Personen gilt es gleichzeitig zu koordinieren.
Hoch und nieder, immer wieder: Der Neubau ist von außen nicht frei zugänglich, sondern von dem rund 78 Meter hohen Gasometer-Stahlgerüst umschlossen. Entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich der Transport der Baumaterialien. Um den vertikalen Material- und Personentransport sicherzustellen, ist eine komplexe Hochlogistik erforderlich. Im Inneren des Neubaus gibt es zwei leistungsfähige Bauaufzüge. Mithilfe eines Online-Buchungssystems können die beteiligten Firmen Zeitfenster für die Nutzung buchen. Jede Fahrt wird von einem Aufzugführenden überwacht. Ein Logistik-Polier hat die Gesamtübersicht.
Glas auf Schienen: 1,20 Meter: So gering ist der Abstand zwischen dem Stahlskelett und dem Rohbau des neuen Bürogebäudes. Durch diesen schmalen Spalt mussten sämtliche Elemente der 12.600 Quadratmeter großen Außenfassade bis zu 65 Meter hoch an die richtige Stelle gehoben und geschoben werden. Speziell für das Gasometer haben der Fassadenbauer FKN Gruppe und WOLFF & MÜLLER eine pfiffige Lösung entwickelt: Jedes Element wurde ebenerdig auf ein kreisrundes Schienensystem innerhalb des Zwischenraumes gehoben. Der elektrische Fahrwagen fuhr die Elemente rund um das Gebäude bis zum richtigen Montageort, wo sie von einem Minikran in die Höhe gezogen wurden.
Sprengwerke mit tragender Rolle: Der untere Bereich des neuen Gasometers soll auch künftig als Konferenzbereich dienen. Damit der 12 Meter hohe Saal stützenfrei bleiben kann, hat das Bauteam sogenannte Sprengwerke gebaut. Massive schräge Streben aus Stahlbeton leiten die Lasten aus den Stützen der Obergeschosse in angrenzende Bauteile ab. Dabei muss über jedes Sprengwerk eine Last von 1.480 Tonnen umgelenkt werden. Die aufwändigen Konstruktionen befindet sich oberhalb des großen Saals innerhalb der hier angeordneten Lüftungszentralen.
Erst digital, dann real: Alle Planungspartner haben, koordiniert von WOLFF & MÜLLER, mit Building Information Management (BIM) gearbeitet. Dazu wurde vor dem ersten Spatenstich ein virtuelles Modell des Bauwerks erstellt. BIM bedeutet ein besseres Informationsmanagement, denn der digitale Zwilling ist die Basis für die gesamte Kommunikation, Koordination und Kollaboration im gesamten Projektteam. Damit werden Planungsänderungen in einem bestimmten Gewerk oder auch Kollisionen zwischen verschiedenen Gewerken sofort für alle Beteiligten sichtbar. Wird der Terminplan mit dem Modell verknüpft, kann der gesamte Bauablauf simuliert werden. Alle Details lassen sich mit BIM dreidimensional betrachten und so viel einfacher als mit herkömmlichen 2D-Plänen besprechen.
Verschwendung? Keine Chance! Auch die Philosophie des Lean Management kommt beim Gasometer zur Anwendung. Es geht darum, fortlaufend Prozesse zu verbessern und die gesamte Wertschöpfungskette schlank und effizient zu gestalten. Weder Zeit noch Ressourcen sollen verschwendet werden. Das Projektteam nutzt verschiedene Anwendungsfälle, die auf dem Lean-Prinzip basieren. Eine davon ist das Last Planner System. Dabei werden alle Baupartner aktiv und gemeinschaftlich in die detaillierte Terminplanung eingebunden: Da jedes Gewerk in seinem Bereich die größte Erfahrung hat, verteilt die Bauleitung keine fertigen Terminpläne, sondern erarbeitet sie tagesgenau gemeinsam mit den Baupartnern.
All diese Lösungen und Methoden sorgen dafür, dass ein komplexes Bauprojekt wie das Gasometer Berlin mit all seinen Herausforderungen termin- und kostensicher realisiert werden kann. Ab jetzt konzentriert sich WOLFF & MÜLLER auf den Ausbau der Büroetagen. „Auch hier bedienen wir uns der Lean-Arbeitsmethodik. Die Taktplanung und die Taktsteuerung sind maßgeschneidert für die sich ähnelnden Etagen. Wir haben diese detailliert ausgearbeitet und mit unseren Baupartnern abgestimmt. Im Wochenrhythmus arbeiten die Firmen ihre zugewiesenen Bereiche ab. Durch diese Anwendung, die eintretende Verbesserung und auch die kurzzyklische Baufortschrittskontrolle haben wir die Qualität, die Kosten und den Zeitplan voll im Griff“, beschreibt Lars Mörke – ebenfalls Oberbauleiter beim Gasometer – die Vorteile der Methode. Anfang 2024 soll der Neubau an die EUREF AG übergeben werden.